Making of »Our Planet«

»Our Planet« ist die beste Tierdokumentation unsere Zeit. Wir haben die Macher von Silverback Films um einen Blick hinter die Kulissen gebeten.
Vom Dach der klapprigen Holzhütte, in der Sophie und ihre Kollegen lebten, entstand dieses Gruppenbild.

#1 Zwischen 80 000 Walrössern

Sophie Lanfear
Die studierte Zoologin hat die Our-Planet-Folge »Frozen World« verantwortet und produziert.

Sophie, wie ist es, in der russischen Arktis zwischen 80 000 Walrössern zu filmen? 

Laut, stinkig und etwas beängstigend. Die Walrösser haben unsere kleine Holzhütte über Nacht umzingelt, was unserer Fantasie nicht gut tat. Zwischendrin dachten wir, wir seien von einer Zombiearmee eingeschlossen. Und jeder Kampf zwischen zwei Bullen ­erschütterte unsere Hütte in ihren Grundfesten. Und selbst wenn die Walrösser zwischendurch schliefen, machten sie Lärm: beim Schnarchen! 

Nach den Walrössern  kame­­n die Eisbären. Euer russischer Begleiter trat ­ihnen mit einem Holz­stecken entgegen­. Angst?

Schusswaffen sind in dieser Region Russlands nicht erlaubt. Aber es war sehr lehrreich, diese vermeintliche Sicherheit aufzugeben. Ohne Waffe sind wirklich alle deine Sinne auf 120 Prozent und du deutest das Verhalten der Bären viel ­präziser. Es spielt natürlich auch eine Rolle, wer den ­Stecken schwingt und wie er die Rolle interpretiert. 

Du warst auch bei einem gewaltigen Gletscher­abbruch dabei, der eine Stunde vor Ablauf der 30-­tägigen Dreharbeiten passierte. Wie behält man die Geduld?

Geduld ist sicher die wichtigste Voraussetzung für einen Naturfilmer. Ich habe das Warten geliebt: die Ruhe, die Einsamkeit und Zeit im Überfluss. Und dafür haben sie mir auch noch Geld gezahlt. Nur die Angst vor dem Verpassen des Spektakels stieg überproportional, sobal­­d man sich ins Zelt verzog. Denn um den Sinn des Sehens beraubt, klang jedes Geräusch des Gletschers gleich doppelt so laut.

Was können wir tun, um die Arktis zu schützen?

Viele Leute denken, dass das Problem des Klimawandels zu groß ist, um gelöst zu werden. Aber bereits die Macht, die der Einzelne als Konsument hat, ist nicht zu verachten. Es geht darum, was du kaufst, was du nicht kaufst, wie viel Fleisch du isst, welche Reisen du machst, welchen Energieversorger du wählst. Allein die Nutzung von Skype kann viele Geschäftsreisen ersetzen. Und vertraue das Geld auf deinem Konto, egal wie viel es ist, einer Bank an, die ethisch und nachhaltig damit wirtschaftet. Jeder hat die Wahl – wähle weise.

Zwei lange Winter waren nötig, bis Kieran seine sensationellen Tiger-Bilder im Kasten hatte. 

#2 Die endlose Geduld des Tierfilmers

Kieran O’Donovan
Kameramann und Produzent aus Whitehorse, Kanada. Der studierte Biologe begann seine Karriere als Assistent bei den Tierfilm­­-
produk­tionen der BBC.

Kieran, ihr zeigt erstmals den Sibirischen Tiger in seinem natürlichen Habitat. Wie lange dauerte der Dreh?  

Wir haben zwei Winter lang über mehrere Monate mit mehreren Kamerafallen »gedreht«. Es waren sicher mehrere Tausend Stunden Film mit Eichhörnchen, Vögeln, Füchsen und sonstigem Getier. Der Tiger selbst hat sich drei Dutzend Mal für wenige Minuten blicken lassen.

Neben den Kamerafallen hattet ihr bemannte Foto­boxen. Waren die besser?

Nicht wirklich. Wir hatten vier dieser Holzkisten, etwa 2,5 x 1,5 m groß, ausgestattet mit einem Klappbett und »Schießscharten« auf eine Lichtung. Darin haben ich und meine drei Kollegen immer fünf bis sechs Tage am Stück verbracht, austreten verboten. Nachts habe­­n wir den Tiger oft gehört, doch sobald es hell genug zum Filmen war, hat er wohl lieber ein Nickerchen gemacht.

Wie habt ihr die Zeit totgeschlagen? Netflix geschaut? 

Haha, kein Netflix. Wir haben viel Zeit damit verbracht, still in der Box zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen. Es war faszinierend, eins mit dem Wald zu werden und ein Gespür selbst für die kleinsten Ver­änderungen zu bekommen. 

Was können wir tun, um den Sibirischen Tiger zu schützen?

Unterstützt den WWF mit Spenden. Die schützen dann den Lebensraum des Tigers.

Netflix Jamies Spezialität: Spektakuläre Kamerafahrten in jedem Gelände.

#3 »Mir hat ein Bär in den A… gebissen« 

Jamie MCPherson
Mit 8000 Stunden hinter dem Sucher von Cineflex-Systemen gilt der britische Kameramann als Koryphäe in diesem Bereich.

James, du bist ein Cineflex- Profi. Was ist das?

Ich habe mich auf Kameraverfolgungsfahrten in jedwedem Gelände spezialisiert. Dazu nutze ich einen sogenannten gyrostabilisierten Gimbal. Der hält die Kamera gerade und minimiert Erschütterungen. Ich habe ihn schon nahezu an allen möglichen Fahrzeugen und Schiffen montiert. Einmal auch an einem Elefanten. 

Schon mal von einem Tier attackiert worden?

Der Schlüssel sind Erfahrungswerte. Wie nah kannst du an ein Tier ran, um sein Verhalten bestmöglich zu filmen? Und ab welcher Nähe verhält es sich unnormal und fühlt sich gestört? Leider lesen die Tiere nicht immer unser Script. So war ich mal versehentlich zusammen mit einem Leopard über Nacht in einer Höhle eingeschlossen, wurde von einem Schwarzbär in den Arsch gebissen und von Nilpferden verfolgt. Aber das Gefährlichste wäre es, mitsamt Auto beim Filmen eines Eisbärs durchs Eis zu brechen. 

Hast du ein Lieblingstier

Sogar zwei. In Afrika Wildhunde und in Indien Tiger. Sehr verschiedene Tiere. Der eine jagt in einem lauten, scheinbar chaotischen Rudel unerbittlich alles und jeden, der andere ist der stoischste und leiseste Solojäger, den man sich vorstellen kann. 

Und wie können wir sie schützen?

Gebt ihnen einfach genug Platz. Den Rest regeln sie dann selbst. 

Netflix

Mehr zum Film

Der WWF hat für »Our Planet« wissenschaftliches Know-how gestellt, Zugang zu abgelegenen Regionen organisiert und hatte die Aufgabe, den Naturschutzgedanken dem Publikum nahezubringen. 

Hier geht es zum Interview mit WWF-Vorstand Eberhard Brandes über das Projekt >>


Text: Michael Neumann (Interview)